Vor der aktuellen Tour von Sarah Connor fiel die Wahl auf ein Venue S6L von Avid für den FOH-Platz, die als S6L-24D mit drei Touchscreens zum Einsatz kam. Ingo Gebhardt unterhielt sich mit FOH-Engineer Ingo Thürauf über die Tour und seine Erfahrungen mit der S6L.
Wann und warum hast Du Dich entschieden, auf der Tour auf eine Venue S6L zu setzen? Ich habe bereits viele Jahre mit der Venue Profile gearbeitet – eigentlich, seitdem diese Konsole auf den Markt gekommen ist. In der Welt von Venue und Pro Tools fühle ich mich zuhause; auf eine Konsole wie die S6L habe ich sozusagen nur gewartet (schmunzelt). Als großen Vorteil sehe ich die Signalverarbeitung mit einer Abtastrate von 96 kHz, welche ich nun konsequent nutze. Die A/D-Wandlung erfolgt auf der Bühne mithilfe des Avid Stage 64 Racks. Von dort geht es per Glasfaserleitung in einem redundanten Ring zum FOH-Platz. Aus dem Pult gebe ich AES/EBU-Signale mit einer Samplingrate von 96 kHz weiter, die nach dem Systemprocessing digital bis in die Endstufen geführt werden – der Signalfluss von den Mikrofoneingängen bis in die Amps ist auf der „Muttersprache“-Tour somit vollständig digital.
Wie war Dein erster Eindruck vom Klang und der Bedienung der neuen S6L? Da öffnet sich klanglich eine neue Welt – so war mein spontaner Gedanke, als ich das System zum ersten Mal unter Studiobedingungen ausprobiert habe. Es ist nicht nur ein anderes Pult, sondern auch ein anderer Sound. Die Equalizer besitzen eine neue Charakteristik, und der Klang sprang mir beim ersten Ausprobieren in einem positiven Sinn direkt ins Gesicht! Das ist toll und es macht Spaß, mit der neuen Venue-Konsole zu arbeiten!
Routing und Bedienung sind sehr übersichtlich. Über die drei Touchscreens der S6L-24D Bedienoberfläche gelange ich sehr gut an die für mich wichtigen Kanalparameter wie Hoch- und Tiefpassfilterung, EQ, Dynamics und natürlich den Gain der Preamps. Die Venue Software ist ja sowieso gleich wie bei den älteren Konsolen und die Files sind sogar kompatibel, was bedeutet, dass man wesentliche Parameter aus einer Profile direkt in die neue S6L übernehmen kann.
Gibt es besondere Einstellungen oder Effekte für die Vocals von Sarah Connor? Als Effekt nutze ich unter anderem einen Harmonizer, der das Signal in manchen Parts dezent verbreitert. Wenn sich Sarah auf dem in die Halle führenden Laufsteg aufhält, setze ich spezielle EQ-Einstellungen ein, um für Rückkopplungen anfällige Frequenzen schmalbandig abzusenken. Hierbei hilft mir der vollparametrische Siebenband-EQ, welcher bei der S6L im Gegensatz zur Profile in allen Ausgängen und Gruppen verfügbar ist. Darüber hinaus nutze ich für den Vocal-Channel weitere Effekte, welche den Sound ein wenig ausschmücken – zum Beispiel Delays, die für etwas Tiefe im Mix sorgen, ohne dabei vordergründig aufzufallen. Zusammenfassend darf man das Vocal-Setting mit seiner Verkettung mehrerer Effekte wohl als komplex bezeichnen.
Hast Du noch andere Plug-in-Favoriten für die Signalbearbeitung? Einer meiner Lieblingshersteller ist Brainworx. Für Mastering-Zwecke bevorzuge ich den neuen Brainworx bx_digital V3, den ich auf der Tour als EQ in der Summe einsetze und mit dessen Hilfe ich Mitten- und Seitenkanal getrennt bearbeiten kann. Ich mag eine leichte Verbreiterung des Stereobildes, wie sie von Einsätzen im Tonstudio oder im Ü-Wagen bekannt ist. Die im Lieferumfang enthaltenen Entzerrer und Kompressoren sind auch allesamt sehr gut. Den Vertigo VSC-2 Kompressor mag ich sehr. Der Brainworx bx_saturator V2 ist ein prima Tool und wird von mir genutzt, um die Orgel leicht anzuzerren, was auch bei Akustikgitarren sehr gut funktioniert. Spannend ist der neue SPL Transient Designer Plus, der per Key-Filterung präzise Eingriffe ermöglicht.
Wie hast Du die Show generell auf der Konsole aufgebaut? Ich arbeite mit Snapshots und habe einzelne Songs sogar in mehrere Parts unterteilt. Es kann sein, dass ich beispielsweise die Noise-Gates der Toms an ruhigen Song-Stellen offen lasse, damit die Trommeln vollständig ausklingen können. Zum Refrain feuere ich dann einen zweiten Snapshot ab, um die Toms zu gaten. Auch meine Effekte habe ich in den Snapshots hinterlegt. Hinzu kommen diverse Pegeleinstellungen, wobei anzumerken ist, dass ich die Vocals nicht speichere. Das Mikrofonsignal von Sarah Connor ist grundsätzlich aus der Automation ausgeklammert; ich habe hier immer den Finger am betreffenden Fader. Komplett gegenteilig verfahre ich mit den Percussion-Instrumenten: Wenn etwa die Urdu nur in einem Song gespielt wird, ergibt es keinen Sinn, den korrespondierenden Kanal bei anderen Titeln offen zu halten – das würde nur unnötigen Schmutz in die Mischung bringen.
Was möchtest du nach ein paar Gigs nicht mehr missen? Die Klangqualität! Bei der S6L geht die höhere Abtastrate erfreulicherweise mit einem vergrößerten Dynamikumfang einher, und auch das Eigenrauschen konnte weiter reduziert werden. Die S6L unterstützt das AVB-Protokoll, und ich habe Pro Tools 12 für Live-Recordings sowie für virtuelle Soundchecks angebunden. Klasse ist, dass man nun in Echtzeit zwischen dem virtuellen Soundcheck und den aus dem Stage 64 Rack kommenden Live-Signalen umschalten kann – ein Softstart ist dafür nicht mehr erforderlich. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch, dass jetzt ein gemischter Betrieb möglich ist, was ich als Feature während der komplett live gespielten „Muttersprache“-Tour allerdings nicht benötige.
Würdest du die S6L einem Kollegen empfehlen? Na, auf jeden Fall! Ich finde, dass die neue Venue-Konsole ein tolles Kreativwerkzeug und für musikalische Vorhaben unbedingt zu empfehlen ist. Dank der vielen Ausspielmöglichkeiten sollte sich die S6L darüber hinaus auch bestens für Industrieproduktionen eignen. Ich finde die S6L super!